Frau Woywod, wie kamen Sie vor einiger Zeit darauf, einen Runden Tisch einzuberufen? Und was war Ihre Vision dahinter?
Meine Mitinitiatorin Ute Groll und ich engagieren uns schon längere Zeit ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Schon bevor die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Hamburg dramatisch stieg, war uns klar: Die Menschen stehen von Anfang an vor vielen Hürden. Zum Beispiel haben Vermieter Vorbehalte gegen Flüchtlinge und geben ungern Wohnungen frei; außerdem prallen im Alltag eines Mehrfamilienhauses Kulturen und Umgangsformen aufeinander, die einander nicht verstehen. Missverständnisse sind da vorprogrammiert – und wo Missverständnisse entstehen, kann Integration nur schwer gelingen. Nur ein kleines Beispiel: Zieht ein Mieter aus dem arabischen Raum in ein Mehrfamilienhaus ein, backt er Leckereien wie zum Beispiel Baklava, und wartet dann, dass jemand vorbeikommt und ihn als neuen Hausbewohner begrüßt. Wir Deutschen denken genau anders herum: „Der könnte jetzt auch mal vorbeikommen und sich vorstellen.“ Das Ergebnis: Statt einer menschlichen Bindung entsteht Voreingenommenheit und Distanz durch gegenseitiges Unwissen.
Was war also Ihre Idee?
Wir hatten so eine vage Vorstellung eines Runden Tisches. Dazu wollten wir Vertreter von Stiftungen, Kirchengemeinden, aus der Immobilienwirtschaft, von Behörden, Mieterverbänden und Bürgerinitiativen einladen. Für jeden Bereich wollten wir Handlungsempfehlungen entwickeln, was jeder in seinem Bereich tun und für sich selbst umsetzen kann. Auf die Idee, dass man die Bereiche auch miteinander verbinden könnte, sind wir zuerst gar nicht gekommen. Heute weiß ich: Richtig Dynamik bekommt ein Projekt erst, wenn alle Beteiligten zusammen an einer gemeinsamen Lösung arbeiten, bei der jeder sich einbringen kann. So entsteht etwas wahrhaft Neues, das besser und runder ist als die erste Idee.
Weshalb sagen Sie „erste Idee“?
Weil das, was aus dem Runden Tisch entstand, eigentlich unfassbar ist. Es hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen, dass aus dem Engagement ein soziales Unternehmen geworden ist, das unter dem Namen Wohnbrücke so viel bewirken wird. Heute vermitteln wir Wohnungen an Geflüchtete und helfen mit unseren Wohnungslotsen bei der sozialen Integration der Menschen. Das war nur möglich, weil alle Seiten am Runden Tisch beteiligt wurden und diese erste Idee auf einmal zur gemeinsamen Sache wurde. Es ist schlicht faszinierend, was solch ein Runder Tisch bewirken kann.
Sie haben zuvor das Qualifizierungsangebot der Breuninger Stiftung wahrgenommen und sich in der richtigen Organisation eines Runden Tisches weiterbilden lassen. Welchen Einfluss hatte die Qualifizierung auf den Erfolg Ihres Projekts?
Ich fand es spannend, dass sich mit der Breuninger Stiftung jemand strategische Gedanken gemacht hat, welche Methoden einen Runden Tisch zum Erfolg führen können. Diese Qualifizierung war für mich in meiner Rolle als Initiatorin das entscheidende Puzzle-Teil zwischen Idee und Umsetzung. Ich habe zum einen das strategische Rüstzeug mitbekommen, um bereits im Vorfeld die richtigen Weichen zu stellen. Wen will ich einladen? Wen muss ich einladen? Wie konkret formuliere ich die Aufgabenstellung, damit man zielführend arbeitet? Wie offen lasse ich sie zugleich, damit genug Spielraum besteht, in den sich jeder einbringen kann? Und mir wurde klar, was man organisatorisch alles bedenken muss: Von der Raumbuchung über die Bewirtung bis hin zur Festlegung der Personen, die das Protokoll schreiben und alle Ergebnisse festhalten.
Wie hat Ihnen die Qualifizierung für Ihre Rolle als Initiatorin geholfen?
Das Wort „Rolle“ ist das richtige Stichwort. Man muss die unterschiedlichen Rollen der Partner am Tisch kennen, definieren und kommunizieren; und man muss sich auch der eigenen Rolle klar werden mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen. Übrigens: einer der vielen Lernmomente war auch, dass man Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Haltungen zusammenbringen muss. Man muss also auch Akteure einbinden, die unpopuläre Meinungen vertreten, damit sie später das Ergebnis mittragen.
Dennoch war Ihr Projekt für Sie vermutlich ein Sprung ins kalte Wasser …
Und zwar ins so richtig kalte Wasser. Die Akteure der teilnehmenden Organisationen waren absolute Profis und wir waren die Nobodys. Deshalb war ein professioneller Auftritt von uns wichtig, damit man uns überhaupt ernst nimmt. Auch da hat die Schulung immens geholfen. Ich habe deutlich mehr Sicherheit bekommen und konnte dem Gegenüber zeigen: Wir wissen, was wir wollen; wir wissen, was wir tun. Und jetzt sind Sie dran, sich inhaltlich einzubringen.
Und dieses Angebot wurde von Anfang an von höchster Stelle angenommen?
Das war ganz interessant: Anfangs bekundeten wichtige Akteure zwar Interesse am Thema, sagten aber die Teilnahme ab. Als sie jedoch gemerkt hatten, dass andere wichtige „Player“ zugesagt hatten, wollten sie dann doch mit am Tisch sitzen.
Nachdem nach wenigen Treffen klar war, dass bei uns ernsthaft etwas entsteht, saßen auf einmal auch einige Chefs höchstpersönlich bei uns, weil sie bei der Entwicklung dabei sein wollten.
Was machte diese Dynamik mit den Teilnehmern?
Mit der Zeit entwickelte sich ein „Spirit“ , ein Gemeinschaftsgeist, ein Wir-Gefühl mit dem Tenor: Wir haben hier gemeinsam etwas Gutes entwickelt, bei dem wir uns einbringen können und das jetzt unser Ding ist. Das wurde bei den letzten Treffen auch so verbalisiert.
Welche Ergebnisse sind denn an Ihrem Runden Tisch entstanden, die sich heute in der Wohnbrücke niederschlagen?
Das ganze Grundgerüst der Wohnbrücke ist am Runden Tisch erarbeitet worden. Bereits in der vierten Sitzung haben die Teilnehmer das Grobkonzept gestrickt. Ich weiß noch gut: Anschließend wollte ich nur noch eine Sitzung durchführen um das Ergebnis festzuhalten, aber die Akteure wollten noch mehr ins Detail gehen und zum Beispiel die Einzelheiten des Unterstützungsfonds definieren, die Materialien für die Mieter entwickeln, die Öffentlichkeitsarbeit definieren, die Rechtsform und Struktur festlegen, und einiges mehr. Also entschieden sie, einzelne thematische Arbeitsgruppen zu bilden, deren Ergebnisse dann gemeinsam im letzten Treffen des Runden Tisches beschlossen wurden. Spätestens da war klar: Das ist schon lange nicht mehr meine Idee, das ist ein gemeinsames, großes Projekt. Tolles Gefühl.
Dieser Text wurde von Lutz Leukhardt für die NOOKEE (Magazin der Breuninger Stiftungsgruppe für Placemaking, Beziehungslernen und Beteiligung) 01/2016 geschrieben.